Ghetto Classics, Kenia

Musik kann der Anfang für alles sein

Während einer Konzerttournee mit Salut Salon in Kenia und musikalischen Workshops mit Kindern und Jugendlichen initiierte Angelika zusammen mit der Autorin Stephanie Schiller 2015 das Projekt Skype-Classes. Es richtet sich an junge Streicher*innen des Musik-Projekts Ghetto Classics in Korogocho, einem der größten Slums Kenias direkt auf der Müllkippe von Nairobi, in dem etwa 300.000 Menschen in extremer Armut leben. Direkt neben dem Musikzimmer, das keine Fensterscheiben hat, brennt eine schier unendliche Wüste aus Müll. Der Geruch von brennendem Plastik zieht von allen Seiten in den Probenraum.

Während der Workshops stellte sich heraus, dass viele grundlegende Informationen fehlen – und vor allem ausreichend Instrumental-Lehrer*innen. Die Kinder und Jugendlichen stellten unzählige Fragen zu Harmonielehre, Bogentechnik, Lagenspielen, Interpretation, wie stimme ich meine Geige, wie spiele ich Staccato und die vermeintlich einfach klingende Frage: Wie übe ich? Gefühlt tausend Fragen der jungen Streicher*innen mussten unbeantwortet bleiben, weil die Zeit fehlte, sie alle während der Workshops zu beantworten. Angelika suchte deshalb nach einer Möglichkeit, dass die Kinder auch nach der Abreise von Salut Salon Unterricht bekommen. Das Internet brachte die Lösung: Die Kinder und Jugendlichen bekamen ihre Fragen wöchentlich via Skype von Instrumentallehrer*innen aus Deutschland beantwortet. Finanziert wurde der Unterricht aus dem Erlös einiger Benefizkonzerte, die Salut Salon in Nairobi gegeben hat und durch die Stiftung „Chancen für Kinder“.

Aus der ersten Klasse mit sechs Schüler*innen sind schnell große Streichergruppen geworden. Ein Instrument zu spielen, gilt in Korochogo mittlerweile als richtig cool.

Ghetto Classics wird von der Stiftung Art of Music getragen. Aufgrund des großen Erfolges von Ghetto Classics gibt es inzwischen viele Orchester und Ensembles in Kenia. Aber nicht genug Dirigent*innen. Deswegen gibt die Dirigentin Anna-Sophie Brüning mit der Unterstützung von Salut Salon gemeinsam mit der Stiftung „Chancen für Kinder" 2023 wieder Workshops für junge Dirigent*innen in Nairobi. Tutor*innen und Ensembleleiter*innen werden ausgebildet mit dem Ziel, dass sich die Kinder und Jugendlichen selbst anleiten können. Hierbei geht es darum, mit den Dirigent*innen den gesamten Prozess der Vorbereitung durchzugehen, dann gemeinsam in die Praxis zu springen und sich bei einem moderierten Konzert auszuprobieren.

Es fehlt auf der Mülldeponie aber nicht nur an Lehrer*innen, sondern auch an Instrumenten. Anfangs gab es nur vier Instrumente für 14 Kinder, die sich beim Üben abwechseln mussten. Salut Salon konnte mit den Erlösen aus Benefizkonzerten in Deutschland 50 Geigen anschaffen, den Transport nach Kenia haben Lufthansa Cargo und die Otto Group gesponsort. Aus Sicherheitsgründen können die Instrumente von den Schüler*innen aber nicht mit nach Hause genommen werden, sondern bleiben auf dem abgeriegelten Gelände der St. Johns-Kirche, dem Ort, an dem Unterricht und Proben stattfinden. Die Kinder können sie wegen nächtlicher Ausgangssperren nur tagsüber zum Üben ausleihen.

Neben dem Musikunterricht bekommen die Musiker*innen auch das Schulgeld und die Schuluniform bezahlt und bekommen Unterstützung beim Lebensunterhalt, denn es mangelt ihnen wirklich an allem.

Art of Music und Ghetto Classics geht es darum, Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, Verantwortung zu übernehmen und eine andere Perspektive für ihr Leben zu entwickeln als Müllsammeln. Nicht jeder, der bei den Ghetto Classics Geige lernt, wird Geiger. Aber er macht garantiert einen Schulabschluss und schafft damit selbst die Voraussetzungen, um aus dem Slum herauszukommen. Musik fördert Disziplin und erweckt ungeahnte Leidenschaft - Musik kann der Anfang für alles sein.